Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde,
sicher ist nicht jeder von Euch und Ihnen religiös; das ist völlig in Ordnung. Aber für mich als religiösem Menschen ist der Rückbezug auf Gott und seine Schöpfung, mein eigenes Geschöpf-Sein, ein essentieller Teil meiner Weltdeutung, und deshalb schreibe ich darüber. Vielleicht sind ja Brücken bauende Ideen darunter, solche, die unserer Gesellschaft nützlich sind oder einfach Verständnis für kulturelle Ausprägungen wecken.
Der Advent bietet sich hier an – kann doch jeder, der nicht gerade am Äquator lebt, die jahreszeitlich bedingte Sehnsucht nach Licht nachvollziehen, der bereits in vorchristlicher Zeit durch Festlichkeiten Ausdruck verliehen wurde. (Wer auf der Südhalbkugel der Erde lebt, kennt diese Sehnsucht natürlich auch, wenn auch in der anderen Jahreshälfte 😉 ).
Christlich gesprochen, ist der Advent ist Zeit der Besinnung und der Vorbereitung, der Besinnung darauf, wie man die Welt gestalten möchte, wie man sich selbst verhalten will, aber auch und vor allem darauf, dass Gott mit uns ist. Das Kind in der Krippe zeigt uns die größtmögliche Nähe, die Himmel und Erde erfahren können – und erfahren haben. Und: erfahren!
Erlösung
Neulich las ich in einer Beschreibung eines Spaziergangs den Satz: „Die Menschen könnten erlöster aussehen.“ Gemeint war hier offenbar, dass, wie die Bibel sagt, die ganze Schöpfung sich nach Erlösung sehne. Das stimmt! Wer kennt das nicht? Eine Situation belastet uns derart, dass die Ahnung und der Wunsch danach in uns aufsteigen, dass es anders sein könnte und sein kann.
Manche Situationen erscheinen also unerlöst. Mitunter, wenn es Freunden nicht gut geht, gehe ich versehentlich den Umweg darüber, das zunächst nicht zu erkennen, sondern zu meinen, mir selbst gehe es nicht gut – ich spüre die Belastung, als wäre es meine eigene. Dann wieder gibt es Situationen, in denen ich so handle, dass ich sofort spüre, es war falsch und ich hätte es besser nicht getan. Wenn mir in solcherlei Momenten das Wort „unerlöst“ durch den Kopf geht, verbiete ich mir sofort diesen Gedanken; ich will ihn nicht denken, weil wir ja nach christlichem Verständnis bereits erlöst sind. Dieses Verbieten wiederum führt zu Schuldgefühlen, obwohl ich nicht begreife, weshalb. Aber auch die haben etwas mit der Frage nach Erlösung zu tun!
Ich meine, dass der biblische Satz „Wir sind frei vom Gesetz der Sünde“ deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Er bedeutet nämlich: Selbst dann, wenn wir Schlimmes getan haben (bewusst oder unbewusst), selbst dann gilt: Wir sind erlöst. Wir dürfen diese Schuld loslassen. Natürlich versucht man, sofern das geht, die Folgen des schuldhaften Verhaltens wieder gut zu machen – aber jemandem, der um sein Erlöst-Sein weiß, kann das viel leichter und selbstverständlicher tun. Und das Großartige ist: Wir sind sogar frei davon, dem Gesetz der Sünde anderer folgen zu müssen. Der gesamte Kladderadatsch der Sünde und ihrer Logik hat keine Macht über uns. Diese Schwere kann uns nicht mehr belasten. Wir sind frei.
Was wäre also, wenn wir den Gedanken, die Menschen könnten erlöster aussehen, erweiterten? Wenn wir den besten Aspekt sein Licht entfalten ließen? In der Geschichte, die ich gelesen habe, folgte darauf nämlich noch etwas Versöhnliches, eine gute Begegnung mit (in diesem Fall) einer Taube, die ja zugleich ein Symbol für den Heiligen Geist ist; die Autorin schrieb dazu sinngemäß, dass hier ein Augenblick vorläge, in dem Erlösung aufscheine. Wie wäre es zusätzlich mit „Wir Menschen könnten erlöster aussehen, denn wir sind bereits erlöst“? Ich plädiere sogar für: „Wir sind erlöst! Deshalb ist jeder Augenblick ein erlöster Augenblick, und wenn uns ein kontingenter (= zeitbedingter) Augenblick glauben lässt, wir seien unerlöst, dürfen wir das als Illusion ansehen und zurückkehren in überzeitliches Bewusstsein der Nähe Gottes“.
Ich wünsche jedem von Ihnen und Euch einen gesegneten Advent!